im Gespräch

Welches ist Ihr eigenes Lieblingswerk und warum?

Bongartz: Also am liebsten ist mir immer das, an dem ich gerade arbeite ...
Sonst verbindet mich mit den Meisten etwas, das ich in der Zeit erlebt habe - was soll ich sagen? Es ist wie das Blättern in alten Fotoalben - egal ob die Bilder hübsch oder hässlich, angenehm oder unangenehm sind, sie gehören dazu ...

Wenn Sie sich etwas wünschen dürften: Zu welchem Film, Bühnenstück oder literarischen Werk würden Sie gerne die Musik schreiben?

Bongartz: Vielleicht zu einem Märchen – Rapunzel ...

Finden Sie dass die Neue Musik eine „freie Musik“ ist, also z. B. mehr Freiheiten hat als die Popmusik?

Bongartz: Auf jeden Fall! Die Popmusik beruht auf dem, was allen gemeinsam ist, denn sie will verstanden sein – die „Neue Musik“ ist aber kein Inhalt, sondern eine Form! Sie stellt Mittel bereit, etwas in die Hand zu nehmen und umzuformen. Im besten Falle schließt sie die Popmusik mit ein, aber sie bleibt dabei nicht stehen, sie möchte über sich selbst hinaus wachsen und das Wagnis im Unbekannten suchen – wenn es gelingt, erobert sie ein Stück Freiheit! Schaffte man sie ab, man müsste sie auf der Stelle neu erfinden!
Die Neue Musik ist ja – wenn auch im stetigen Wandel – bereits etwa 100 Jahre alt.

Was denken Sie, muss sie tun um „neu“ zu bleiben und auch ein jüngeres Publikum zu erreichen?

Bongartz: Ich habe einmal eine Opernaufführung erlebt – eine Kombination von Schönbergs „Erwartung und Purcells „Dido and Aeneas“, da waren die Musiker um Jahrzehnte jünger als das Publikum. Die Krise der Neuen Musik ist auch eine Krise der Hochkultur, weil man ihr nicht mehr zutraut, die wirklichen Befindlichkeiten der Menschen abzubilden. Da hilft von Seiten der Musikschaffenden nur eine große Ehrlichkeit zu sich selbst ...

Sie unterrichten auch und arbeiten mit Jugendlichen. Wenn Sie den Musikunterricht an Schulen reformieren könnten, was würden Sie tun?

Bongartz: Vor dem Musikunterricht an Schulen habe ich großen Respekt. Ich unterrichte aber nur an Musikschulen. Von den Kindern lerne ich ganz viel: sie verfügen über unglaublich viel Energie, sie lassen sich nicht betrügen, sie haben ein elementares Bedürfnis nach Musik und sie haben kaum grundsätzliche Vorbehalte. Um was muss man sich da noch Sorgen machen?

Was wird in 100 Jahren die Rolle eines Komponisten sein?

Bongartz: Ha – es wird immer Menschen geben müssen, die ihrer Sensibilität Ausdruck verleihen, so lange die Zeit, in der wir leben, sich ändert und es darin auch etwas zu bewahren gilt ...

Und zum Schluss: Haben Sie noch eine Frage?

Bongartz: „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam' und Art.“ (Lohengrin)

Markus Bongartz

Geboren am 29.08.1963 in Mönchengladbach

1983-86 zunächst Violinstudium an der Folkwang Hochschule bei Helmut Hoever und Adolphe Mandeau

1986-92 Kompositionsstudium bei Nicolaus A. Huber, 1990-92 Studium der Elektronischen- und Computermusik bei Dirk Reith, Sommerkurse bei Tristan Murail, Marco Stroppa, James Dillon und Ole Lützow-Holm

1991 Vortrag Struktur und Intuition, Versuch einer Anwendung von Sprachtheorien auf die musikalische Analyse zur Charakterisierung von musikalischen Sprachstilen

1993 Kompositionsabschluss in Essen, Sonderpreis der Jury für das Orchesterstück ... durch die Reinheit der Substanz ist es, was es ist, Wege zu suchen ... beim FESTIVAL INTERNATIONAL DE MUSIQUE DE BESANÇON

1994 erster Preis beim Wettbewerb „Musikpreis des NDR“ für das gleiche Stück

1995-96 Stipendium des DAAD für einen Studienaufenthalt an den ATELIERS UPIC in Paris, gleichzeitig Kurse über Computermusik an der Université Paris VIII bei Horacio Vaggione

1996 Einladung zur Session de Composition in Royaumont/Paris, geleitet von Brian Ferneyhough, Klaus Huber und Xu Shuya, mit Unterstützung der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW

1999 Arbeit über Musik und Politik bei Hans Werner Henze und Luigi Nono

1999 Einladung zu einem Einführung in die Computermusik am musikwissenschaftlichen Institut der Ruhruniversität Bochum

2003 Mitwirkung am Projekt „Die Exotik des Anderen“ in Tokyo; Einladung an das Yoshiro Irino Institute of Music

2003 Kompositionsauftrag der Kulturstiftung NRW für das Ensemblestück Zeit genug

Seit 2011 ist er Mitglied der Gruppe für experimentelle Musik und Medienkunst (GEMART) in Hannover

Von 2013-2016 ist er Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Neue Musik

Zusammenarbeit u.a. mit dem Ensemble L’itineraire, dem Ensemble Köln, dem Ensemble Mosaik, dem NDR Sinfonieorchester und dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin

Lebt seit 2008 als freischaffender Komponist und Musikerzieher in Berlin